Interview Dirk Hohmeyer

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"Mensch, Du hast Recht, das ist grandios. Mach´s kaputt"

Das Interview mit Dirk Hohmeyer - Teil 5

Zum Frühstück im Hotel Pullmann in Köln verabredeten sich Dirk Hohmeyer und Stephan von der Fanpage. Ein kleiner Austausch in Sachen Proms reifte zum ausgiebigen Gespräch. Nach starken 2,5 Stunden wurden die Protagonisten höflich und bestimmt aus dem Frühstücksraum herauskomplimentiert...

Lest nun das Interview zu den Themen Vergangenheit (Entstehung der Proms in Deutschland, Einstieg Dirk Hohmeyer, der NOKIA Deal,...) Gegenwart (Aktuelle Künstler, CD,...) und Zukunft (Aussagen zu weiteren deutschen und europäische Überlegungen). Zum Abschluss folgt die Schicksalsfrage...

Stephan: Die Proms feiern ihren 20. Geburtstag in Deutschland. Wann hast du die Night of the Proms zum ersten Mal wahrgenommen und was war deine Einstiegsdroge?

Dirk: 1993 und 1994 hatte ich von vielen Seiten über ein Phänomen gehört, die mich veranlasst haben, im Oktober 1994 nach Dortmund zu fahren. Das erste Konzert in der Westfalenhalle war bei weitem noch nicht das, was man heute unter der Night of the Proms versteht. Es war eine tolle Veranstaltung. Die Bühne war weit in der Mitte aufgebaut und die Halle trotzdem nicht voll. Es waren sehr viele Belgier da, um Stimmung zu machen. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass Jan und Jan belgische Soldaten, die damals in Dortmund stationiert waren, eingeladen haben und auch Busse auch aus Antwerpen angekarrt wurden. Ich fand es alles sehr faszinierend und habe nach dem Konzert im Backstage meine Avancen gemacht. Ich werde nie das eingefrorene Gesicht von Jan Vereeckes vergessen, als er meine Visitenkarte von MAMA Concerts gesehen hat.

Es waren viele Veranstalter da, aber ich war offensichtlich der einzige, der seine Avancen gemacht hat. Viele sind früher gegangen, wohl nach dem Motto "Das kannst Du eh knicken, das bekommen wir in Deutschland nicht umgesetzt". Wie wir im Nachhinein wissen, hat dieser Tag anschließend mein Leben verändert.

Wie ging es nach Deinem ersten Konzerterlebnis 1994 weiter?

Wie gesagt, war ich damals bei MAMA Concerts angestellt. Nach dem Konzert bin ich mit diesem großartigen, erfrischenden Erlebnis ins Büro gekommen,und habe allen erzählt, was ich für ein tolles Konzert gesehen habe, das extrem ausbaufähig wäre, und dass die Veranstalter aus Belgien Partner suchen würden. Die Antwort des Gremiums bei MAMA Concerts, also des Direktorenmeetings war: "Weißt du was, die Belgier haben auch keine Gartenzäune, und der Deutsche empfindet die Klassik auch sehr erfürchtig, also das funktioniert nicht. Lass uns lieber um wesentliche Sachen kümmern." Es war ein enttäuschender Moment, und die negative Entscheidung musste ich nun Herrn Vereecke, wir waren da noch per Sie, mitteilen. Jan Vereecke ist der Vater der Night of the Proms in Belgien und spricht recht gut Deutsch. Ich sagte ihm: "Herr Vereecke, ich glaube an diese Sache, aber leider Gottes die Firma nicht. Aber wenn Sie noch Hilfe brauchen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“

Welche Aufgaben hattest Du damals bei MAMA Concerts?

Ich war so eine Art Libero. Ich habe mich um Marketing, Sponsoring und Neuigkeiten aus der Branche gekümmert. Der Bereich Sponsoring wurde damals immer wichtiger. VW fing damals an, mit den Künstlern von Genesis (Anm. der Red. Auto: VW Polo II / Tour: The Way We Walk) und Pink Floyd (Anm. der Red.: Aut: VW Golf III / Tour: The Division Bell Tour) ihre Autos neu zu vermarkten. Ich hatte damals keine speziellen Geschäftspartner, sondern wurde in die Geschäftsfelder im Unterhaltungsbereich gesteckt, die möglicherweise zukunftsweisend für die Firma hätten sein können. Marcel Avram zum Beispiel, hatte damals noch die große Hoffnung, Siegfried und Roy auf Tournee zu bringen. Zudem hatte ich die Freude, auch mit Fritz Rau zu arbeiten. Ich habe ein paar Details bei der Entwicklung von Tabaluga mitgemacht und die Medienkooperationen verbessert. Immer unter dem Leitsatz "Halt die Ohren auf!". Und so kamen auch eines Tages die Proms dazu.

Die Väter der belgischen Proms Jan & Jan wurden vor MAMA Concerts und seinem berühmten Konzert-Promoter Marcel Avram mit den Worten gewarnt: „Vorsicht in Deutschland vor Marcel Avram! Wenn Sie ihm eine Hand geben, greift er den ganzen Arm“. Und trotzdem wurdest du bei MAMA ein Jahr später von den Organisatoren der Proms angerufen...

Genau, denn es war Folgendes passiert: Es war damals eine deutsche Toncrew bei der Night of the Proms in Antwerpen unter Vertrag. Das Tonabnehmersystem aus Deutschland war damals einzigartig und zudem das beste System auf dem Markt. So hatten die Jannens eine deutsche Toncrew aufgrund dieses Tonabnehmersystems.

Die Problematik 1994/1995 bestand darin, dass kein deutscher Veranstalter an die Proms glaubte. Der Chef der Tonfirma (Christian Thiele) wohnte in München und bot an, obwohl kein Veranstalter, aber zumindest Teil der Proms-Familie, die Konzerte in München zu organisieren, wenn Jan und Jan weiterhin Dortmund aus Antwerpen fernsteuern. Dieser Christian Thiele ist an einem Sonntag 1995 mit seinem Hund spazieren gegangen und ist dabei leider an einem Herzinfakt gestorben. Jan und Jan wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, was er für das Konzert in München vorbereitet hat.

Hingegen wusste Jan aber, dass auch ich in München lebe, ich gut vernetzt bin und Interesse habe. Er rief mich mit den Worten an: "Herr Hohmeyer, können Sie uns helfen, wir wissen nicht was Herr Thiele organisiert hat. Ist die Halle gemietet? Gibt es Medienpartnerschaften, was hat er gemacht?"

Ich kannte die Witwe, habe natürlich eine gewisse Zeit gewartet, und habe ihr die Probleme geschildert. Wir haben dann gemeinsam seinen Schreibtisch durchsucht und eine Reservierungsbestätigung gefunden. Ich betone nochmal eine Reservierungsbestätigung der Olympiahalle, sonst nichts. Zudem habe ich drei, vier Radiostationen angefragt, ob sie schon einmal etwas von dem Proms Konzert gehört haben - nein. Der nächste Schritt war die Olympiahalle. Es gab, wie gesagt, noch nicht einmal einen Mietvertrag, aber es gab eine Reservierungsbestätigung. In der Zentrale von MAMA Concerts habe ich das Thema dann noch einmal angesprochen und den Kollegen deutlich gemacht, dass ich gerne die Proms machen möchte: Lasst es uns machen, das wird groß.

Du wolltest die Proms unter der Schirmherrschaft von MAMA Concerts weiterentwickeln?

Richtig, Marcel Avram war damals selber mit Michael Jackson so dermaßen beschäftigt, dass er sich gar nicht äußerte. Und meine anderen Kollegen haben gesagt: Mach es!”, weil sie befürchteten, dass sonst ich gehe. Dieses haben sie auch im Nachhinein bestätigt, dass ich sehr bestimmt gewesen bin. Schlussendlich war die Einführung der Proms in Deutschland ein überschaubarer Deal, da das Primärrisiko bei den Belgiern lag. Unter der Prämisse, auch das Konzert in Dortmund zu übernehmen, wurde der Vertrag besiegelt. Es machte keinen Sinn, nur einen regionalen Markt zu bedienen, man muss dann schon bundesweit agieren. Somit habe ich 1995 die Night of the Proms bei MAMA Concerts in vollem Umfang übernommen.

Die Belgier hatten jetzt natürlich die Befürchtung, dass MAMA das komplett an sich reißt. Es hielt sich damals das Gerücht, dass du die Proms für Deutschland zerstören solltest, um ein eigenständige Veranstaltungsreihe mit einem Orchester aus Rumänien zu organisieren.

Nein, das ist so nicht ganz richtig. Jan hatte natürlich seine Bedenken, aber primär war in dem Moment eher das Vertrauen in mich. Das hat mich natürlich sehr geehrt. Ich habe die Proms 1995 in München und in Dortmund durchgeführt, als Arrangeur sozusagen.

Zu einem Konzert habe ich sogar Marcel Avram zum Besuch überredet. Ihm wollte ich das Phänomen näher bringen. Er sagte zu mir anschließend: Mensch, du hast Recht, das ist grandios. Mach's kaputt.” Und genau dieses habe ich eben ignoriert! Denn ich wusste, er war danach schnell wieder zurück in die USA wg. Michael Jackson. Ich habe dann 1996 die Proms mit Megaschritten nach vorwärts bewegen können. Zum Beispiel konnten wir den Nokia-Deal abschließen, die Auszeichnung Goldene Kamera 1997 entgegennehmen und die Kooperation mit dem ZDF verwirklichen.

Warst du zu diesem Zeitpunkt schon losgelöst von MAMA Concerts?

Nein, da war ich noch bei MAMA. Aber Avram war nie da, er konnte nicht in das Tagesgeschäft eingreifen. Eines Tages hat er den Deal mit dem ZDF mitbekommen und beim ZDF angerufen. Aus Los Angeles. Er beschrieb die Night of the Proms als die wohl größte Grütze, die er jemals gemacht hätte. Er hätte so viel Geld an den Proms verloren, und was sie da für einen dummen Deal machen. Daraufhin rief der stellvertretende Unterhaltungschef vom ZDF bei mir an und sagte: Dirk, was hast du mir da angedreht? Avram hat meinen Chef angerufen aus L.A. Ich habe entgegenet: “Wem glaubst du?”. Es folgte eine einminütige Denkpause, dann sagte er Tut mir leid, dass ich dich angerufen habe.”

In dem Moment war mir aber klar, dass Avram mit subtilsten Mitteln gegen die Proms angeht. Am gleichen Tag habe ich mich mit Jan in Verbindung gesetzt und um ein sofortiges Meeting gebeten und sie gewarnt. Und erst DA war es klar! Jan und Jan waren beide nicht überrascht von der Reaktion Avrams. Diese hatten Vertraute der beiden, die Avram kannten, bereits prognostiziert. Was alle überrascht hat war die Loyalität, mit der ich ihnen gegenübergetreten bin. Ich bin sozusagen hingefahren und habe gesagt Rettet das Baby. Meine Möglichkeiten sind jetzt erschöpft. Dann haben sie mich gefragt, ob ich die `Balls´ habe, das Konzert 1996 trotz allem durchzuziehen.

Aus der Reaktion von Marcel Avram war abzulesen, dass die Proms auch in Deutschland funktionieren. Sonst wäre er nicht so dagegen angegangen. Die Jannen hatten damit gerechnet, dass er die Proms in Deutschland vernichten wollte, aber erst ein Jahr später. Somit war 1996 bereits zu erkennen: Die Proms werden funktionieren, und es wird schneller gehen, als wir es hoffen. Nun war der Zeitpunkt für die `Balls´ gekommen. Ich bin zu Avram gegangen und habe ihm deutlich gemacht, dass ich die Proms schützen und ansonsten Konsequenzen ziehen werde. Daraufhin hat er mich erstmal in Ruhe gelassen. 1996 war dann der Durchbruch und wir haben uns entschlossen, zum 01.04.97 die Tochterfirma PSE GERMANY zu gründen.

Erste Künstler für die Proms

Welche Künstler hast Du zum Start eigenständig für die Proms gewinnen können?

Wir haben 1996 ja schon angefangen, lokale Acts mit einzubauen. Und der erste Act waren 1996Die Prinzen“. Ansonsten war das Programm 1:1 identisch mit Antwerpen. 1998 stand die „Münchner Freiheit“ und 1999 Purple Schulz auf den deutschen Bühnen. Eine Intergration eines deutschen Acts war mir sehr wichtig, es gab ja auch in Belgien und Holland einen „local Hero“. Mein opulentes Telefonbuch und meine Vergangenheit haben uns dabei geholfen, in den Folgejahren Meat Loaf (2001), Chris de Burgh (2001), Mike Oldfield (2006) oder auch OMD (2006) für das Programm zu gewinnen.

Die Proben für die Konzerte waren früher extrem kompliziert. Somit haben wir immer versucht, das Programm so deckungsgleich wie möglich für alle Länder zu gestalten.
Je länger aber die Tournee wurde, umso schwieriger wurde es, Künstler für so einen langen Zeitraum zu gewinnen. In den verschiedenen Ländern haben die Märkte zudem auch verschiedene Präferenzen. Foreigner (2002) sind hier ein großer Act, in Belgien oder Holland ist ganz anders. Dort hat beispielsweise der Hit „Urgent“ nicht den Stellenwert wie in Deutschland. Es gibt viele Bands, die in Deutschland und Amerika erfolgreich sind, aber im Rest der Welt eben nicht. Und wir haben auch festgestellt, dass es unterschiedliche Hits der Bands in den verschiedenen Ländern gibt. Deswegen war das OMD-Set in Deutschland auch anders, als in Belgien oder Holland. In Benelux haben wir `Enola Gay´ inszeniert. Dafür war `Sailing on the seven seas“ ausschließlich in Deutschland auf der Setliste. Benelux Hits sind ehr durch MTV gemacht worden, in Deutschland war immer schon das Radio maßgeblich für erfolgreiche Songs.

Der NOKIA Deal

Wie kam es denn 1996 zu dem legendären Deal mit Nokia?

Das war witzig. Als Nokia anfing, Handys zu produzieren, waren alle scharf auf diese unheimlich teuren Geräte. Nokia hat damals (1995) die Leningrad Cowboys gesponsert. Wir haben bei Mama die Tour der Lenningrad Cowboys organisiert und der Wodka Konsum war enorm. Einestages benötigte ein netter Mensch von Nokia für seine Mitarbeiter einige Konzertkarten und so habe ich, im kleinen Rahmen, Tickets gegen Handys gedealt. Wir haben damals sehr viel Spaß gehabt.

1996 rief mich derselbe Mitarbeiter an und sagte Herr Hohmeyer, ich bin jetzt der neue Marketingchef von Nokia, was können wir zusammen unternehmen? Ich fand das so nett, was können wir zusammen machen. Haben Sie da irgendwelche Ideen? Daraufhin bin ich zur Nokia Zentrale nach Düsseldorf gefahren und hatte für MAMA Concerts die Aufgabe, für Michael Jackson einen Sponsor zu suchen. Somit habe ich Michael Jackson präsentiert, aber eben auch über mein Herzblut, die Proms berichtet. Nach vielen Briefen und Meetings hatte sich Nokia dann schlussendlich 1996 entschlossen, Michael Jackson zu sponsern.

Der Deal mit Michael Jackson war aber noch nicht unterschrieben. Bei der finalen Vertragsrunde in Düsseldorf wurde der damalige Geschäftsführer, ein Däne, Jens Schultzer hinzugezogen. Der äußerte plötzlich “Ich weiß, was ihr da alles macht. Ich konnte heute Nacht nicht schlafen, ich will den Vertrag mit Michael Jackson nicht unterschreiben und ich will mit dem Mann auch nichts zu tun haben.” Ich hätte ihn am liebsten geküsst, denn ich hatte auch Bauchschmerzen diesbezüglich, den Vertrag zu verhandeln. Und er sagte weiter: Meine Kinder werden mich wahrscheinlich schlagen, ihr werdet mich wahrscheinlich alle schlagen, aber ich unterschreibe den Vertrag nicht! Aber du, diese Klassik-Geschichte die du da machst, die gefällt mir - die will ich haben. Mach das fertig!“ Und das war der Startschuss zum legendären Deal mit Nokia.

Im gleichen Jahr habt Ihr auch die im ZDF übertragene Auszeichnung `Goldene Kamera´ überreicht bekommen.

Nein, die bekamen wir erst 1997. Wir wurden ausgezeichnet für die Tournee 1996. Im Frühjahrt 1997 haben wir dann in Berlin die Goldene Kamera erhalten und sind mit Joe Cocker und Il Novecento etc. aufgetreten.

Das war also ein Meilenstein direkt zum Anfang der neugegründeten Firma PSE.

Das waren sogar die ersten grauen Haare! Im Endeffekt hatten die Organisatoren der Goldenen Kamera versucht, Joe Cocker auf die Bühne zu bekommen. Und die wussten, die hätten das nicht geschafft, aber wir hatten die Kontakte. Schließlich war er im Vorjahr ja unser Top Act bei unserer Night of the Proms.

Wir haben die Organisation um Joe Cocker dann sehr geschickt geplant: Neben der Verleihung in Berlin haben wir einen Flug nach England zu seinem Vater gebucht. Noch zwei Fernsehauftritte in Frankreich ergaben dann quasi eine kleine Europatour. Ansonsten hätte der gute Joe die lange Reise aus Colorado nach Berlin nicht angetreten.

Welche Künstler haben Deiner Meinung nach der Night of the Proms in den Anfangsjahren besonders Aufwind gegeben?

Im Nachhinein natürlich ganz klar, haben wir Andrea Bocelli etabliert. Ich kann mich noch gut dran erinnern, wie mich in München ein Journalist gefragt hat "Wie hieß denn der Tenor?" - "Andrea Bocelli!" – "Ne der Mann".

Seine Teilnahme bei uns war großartig, zumal er auch noch heute gerne verbreitet hat, dass die Proms ihm auf seinem Karriereweg signifikant weitergeholfen haben. Er hat dann auch 1996 bereits als Superstar unser Orchester Il Novecento für seine Tournee gebucht.

Gab es schon damals Künstler, die Du im Nachhinein lieber nicht dabei gehabt hättest? Einmal von Marti Pellow abgesehen.

Nein. Mit den Erfahrungen wächst man natürlich und sensibilisiert sich. Anders als in Belgien oder Holland, sind wir zwischen 18 und 24 Stunden für die Künstler da. Wenn wir auf Tournee sind, sind wir für jedes `Wehwehchen´ Ansprechpartner: Dem einen ist eine Plombe rausgefallen, der Nächste hat sich den Fuß verdreht, Hals-Nasen-Ohren-Arzt Probleme und so weiter.
Dementsprechend geht es nicht nur das Musikalische, es kommt auch auf eine zwischenmenschliche Komponente an. Wir machen fast alles möglich, aber man muss auch gegenseitigen Respekt haben. Das ist ein ganz, ganz großes Phänomen und ich fühle mich auch immer extrem geehrt, wenn so viele Künstler im Nachhinein so lobend über uns sprechen.

Die Proms in Deutschland haben 2007 die Konzertanzahl in Belgien eingeholt. 2013 gab es sogar dreimal mehr Konzerte als im Mutterland. In Anbetracht der Bevölkerungszahl (D:81 Mio / B:11 Mio) müsste doch noch ein großes Potential in Deutschland schlummern? Wie schaut es aus mit Nürnberg, Leipzig und Mallorca?

Das ist ein bisschen Milchmädchenrechnung. Seitdem wir die Proms in Deutschland machen, ist die Kapazität des Sportpalais in Antwerpen stetig gewachsen. Mittlerweile ist sie die größte Halle in Europa und hat sogar noch ein mehr Kapazität als die Lanxess Arena in Köln. Hinzu kommt, dass ich natürlich mehrere Orte mit den Proms bereise. Wenn wir nur gleichen Markt bearbeiten würden, sprich nur z.B. in Köln, dann käme auch in 30 Jahren das große Gähnen. Das ist zum einen die Problematik.

Das andere Problem erklärt sich dadurch, dass die belgische Konzertlandschaft früher nur auf Brüssel fokussiert hat und in Antwerpen außer `Holiday on Ice´ und den Proms nicht all zu viel passiert ist. Und jetzt ist, gerade durch die Aktivitäten von Jan und Jan (Eigentümer des Sportpaleis in Antwerpen), Belgien zum Nabel der Welt geworden. Alle weltweit großen Künstler, die in Köln oder in München oder In Frankfurt spielen, kommen nun auch nach Antwerpen. Der Markt kannibalisiert sich somit selber.

Ich bin einfach froh, dass wir unseren Markt seit 20 Jahren aufrecht halten. Wir spielen bundesweit und wir minimieren den Aufwand für unsere Besucher. Wir bringen die Show sozusagen zu den Leuten in die einzelnen Städte. In Belgien und Holland ist alles auf jeweils nur einen Ort fokussiert. Wir haben das große Glück, in Deutschland verschiedene Märkte mit verschiedenen Partnern und verschiedenen Medienkonstellationen zu spielen und unterschiedliche Publikumsreaktionen zu erleben. Wir merken doch auch, dass eine Show in Köln etwas ganz anderes ist, als eine Show in Bremen. Das ist die gleiche Show, nur die Reaktionen sind anders. Das liegt aber nicht an der Qualität des Publikums. Der Norddeutsche ist halt kühler, und nicht so emotional wie der kölsche Jeck.

Wie schaut es aus mit dem Neuland wie Nürnberg, Leipzig oder im 17. Bundesland?

Nein, es gibt hier und da vielleicht mal eine neue Halle, aber es muss auch Sinn machen. Alle Hallen in den benannten Städten, sind zu groß, oder so klein. Es lohnt sich einfach nicht. Wir haben eine riesengroße Bühne, die das Fasungsvermögen der meisten Hallen stark reduziert.
Erfurt wollten wir eigentlich schon längst aus dem Tourneeplan nehmen. Nach so vielen tollen Abenden dort ist Erfurt aber eine herzliche Heimat geworden und wir können das der Fangemeinde dort nicht antun. Sollte Leipzig wirklich eine größere Arena bekommen, bin ich gerne bereit, mir darüber Gedanken zu machen. Aber nochmal: Es muss eine geeignete Halle da sein und es muss eine wirtschaftliche Zukunft haben. So lange das nicht gewährleistet ist: Nein.

Zukunft der Proms im Ausland

Apropos Ausland: Es gab einmal Überlegungen für Konzerte in Italien. Auch Österreich und die Schweiz wurden in den 90ern besucht. Gibt es da weitere Zukunftsmodelle?

Nun, warum gibt man solche Länder auf, wie die Schweiz und Österreich? Sicherlich nicht, weil wir einfach böse Menschen sind, sondern einfach wegen Erfolglosigkeit. Wir haben in der Schweiz sehr, sehr viel Geld verloren. Und das trotz großer Sponsoren wie Heineken und Nokia. Die Schweizer haben unser Programm, wenn es schweiz-affin, angenommen. Mit einem Zucchero haben wir gut verkauft, in anderen Jahren mit anderen Künstlern eben nicht. Wir haben es nicht geschafft, dass unser Konzept angenommen wird. Wir hatten aber auch eine Partnerkonstellation in der Schweiz, die uns die Organisation nicht leichter gemacht hat. Es hieß erst Ihr müsst Fernsehen haben, dann haben wir das Fernsehen gewinnen können, dann hieß es Fernsehen ist schädlich, weil die Leute dann nicht mehr die Konzerthallen aufsuchen. Wir müssen bestuhlen, dann sag ich ja, verkauft doch erst einmal die Sitzplätze an den Seiten. Kurzum, es war müßig! Dann ist die Schweiz auch noch so teuer. Das gibt es ein großes Budgetproblem. Wir haben zum Beispiel das Orchester und den Chor nach der Show in Zürich nach München geschickt. Es war einfach günstiger, in München zu übernachten. Wir hatten anschließend München im Plan, wir waren sozusagen schon `on the way´. Wenn ich 300 Franken für ein Hotelzimmer bezahlen muss, und wir brauchen 200 Zimmer, dann kann man sich ausrechnen, dass sich das nicht rechnet.

Fast die gleichen Erfahrungen haben wir in Österreich gemacht. Wir haben zwei Jahre lang in Wien 600.000 Mark verloren. Sechshunderttausend Mark in zwei Jahren, und keine Tendenz nach oben. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Österreicher sich als Erfinder der Klassik sehen, und dann kommt ein ausländisches Orchester, gerade in Wien. Das kann ja wohl nicht sein! Wir waren im zweiten Jahr ein bisschen vorsichtiger und haben sogar noch zwei österreichische Acts mit ins Programm eingebaut, ohne nennenswertem Erfolg. Es gab auch kein duales Mediensystem. Der ORF hat uns boykottiert, und dann gibt man halt auf.

Und wie schaut es mit der Zukunft der Proms in Italien aus?

In Italien haben wir bis heute nicht einen vernünftigen Veranstalter getroffen, der uns ein gutes Konzept präsentieren konnte. Jan Vereecke und ich waren mehrfach bei verschiedenen Managern. Unsere Zahlen sprechen für sich, aber die Proms sind kein Selbstläufer. Einfach ein Plakat aufhängen und Erfolg haben ist nicht real. Ich habe alleine sieben Jahre dafür gebraucht, die Proms in Deutschland zu etablieren. In fünf Jahren haben wir es aber z.B. nicht geschafft, die Show in Frankreich erfolgreich ans Laufen zu bringen. Der französische Markt und der Franzose ist auch ganz anders strukturiert. Der steht auf seinen Künstler und seinen Stil, aber nicht unbedingt auf den anderen Künstler und den anderen Stil. Das ist einfach eine französische Finesse.

In Spanien ist die wirtschaftliche Lage um einiges angespannter, als wir das hier so richtig wahrgenommen haben. Der örtliche Partner hat Konkurs gemacht, und glaube mir, das ist sehr bitter, wenn du viele Jahre Arbeit und Gedanken und eine Menge Meetings wegsterben siehst. In Schweden, beziehungsweise Skandinavien haben wir eine relativ stabile Situation. Jetzt natürlich ganz speziell die Konzertvorbereitung in den USA. Mit der Unterstützung des amerikanischen TV Senders PBS, erhoffen wir uns eine langfristige Entwicklung in den Staaten. In Frankreich wissen wir jetzt nach bitteren Erfahrungen: Das hat keinen Sinn! In Italien gab es bisher keinen, der uns entsprechende Konzepte vorstellen konnte. Wir sind gerne bereit auch weiter Gespräche zu führen, aber wir haben inzwischen eine gewisse Sensibilität entwickelt, was passt und was nicht.

Kommen wir zum Thema Herausforderungen. Ich versuche Dich jetzt einmal zu locken:
So eine schöne, sommerliche Open Air Veranstaltung in Düsseldorf oder auf Schalke, wo man notfalls das Dach schließen könnte um ein schönes, einmaliges Festival mit einem wahren Weltstar feiern zu können, der die Proms niemals in Gänze machen würde.

Ich habe vor Jahren mal eine Idee gehabt eine, Köln-, oder eine NRW-Proms im RheinEnergieStadion zu organisieren und zudem eine Alpen-Proms in München. Das Risiko bei einer Stadionproduktion ist aber so hoch, dass ich mich im Endeffekt entschlossen habe, das nicht zu tun. Man kann nur Geld verlieren. Ich glaube, dass mit der Größenordnung von Oberhausen, Dortmund und Köln der Charme der Proms-Größe erreicht ist. Und wie willst du das kommunizieren, dass die Proms im Sommer mit einem anderen Programm aufschlägst, als zur traditionellen Tour zur Weihnachtszeit. Das Geheimrezept, warum wir die Proms über die 20 Jahre hochhalten konnten, liegt auch daran, dass wir die Veranstaltung auch begehrlich halten. Wir dürfen die Proms nicht ausreizen oder übervermarkten. Wenn ich sehe, dass wir schon 20 Jahre dabei sind, das macht mich schon sehr happy.

Welchen unrealistischen Künstlerwunsch hast du noch? Also unrealistisch weil du weißt, es kann nicht funktionieren.

Also, ich bin in der Beziehung Realist. Ich habe einige Kandidaten von meiner Wunschliste streichen müssen, weil sie das Zeitliche gesegnet haben. Robert Palmer oder auch Gary Moore zum Beispiel. Genau das waren unter anderen auch meine Träume, die ich gerne verwirklicht hätte. Oftmals denke ich an Künstler, die auch mein Leben mit beeinflusst haben, da ich ja auch mit vielen in meinem „Vorleben“ gearbeitet habe.

Also pflegst Du eher den realistischen Traum.

Ja, das sind dann schon eher realistische Träume. Ich schließe Künstler aus meinen Träumen aus, die ich nie erreichen kann. Entweder stimmt das Umfeld nicht, oder die Kandidaten sind dermaßen menschlich unqualifiziert, dass es auch kein erstrebenswertes Ziel ist. Ich habe aber noch sehr viele Träume! Und das Gute daran ist, dass ich diese Träume jetzt auch zeitlich viel besser fassen kann, weil mein Sohn Lukas mir einen Großteil vom Tagesgeschäft abnimmt. Ich habe dadurch mehr Zeit, mich um künstlerische Themen zu kümmern. Es ist wirklich nicht mehr spannend, nach 20 Jahren noch Marketingpläne zu erstellen und Anzeigen zu buchen. Das wird zu einer gewissen Routine. Buchhaltung gehört auch in die Rubrik Routine, die Lukas ebenfalls hervorragend erfüllt. So habe ich jetzt ein bisschen mehr die Libero-Position übernommen.

Frische Künstler für die Proms

Ihr habt das Programm in den letzten Jahren verjüngt. Ist es schwieriger an Künstler wie Leona Lewis, Nelly Furtado oder z.B. Melanie C heranzutreten?

Nein, ist es nicht. Es ist sogar inzwischen einfacher geworden, weil die Fäden hinter den Kulissen relativ eng sind. Management und Agenturen vertreten oftmals hunderte von Künstlern. Für die Proms spricht, dass die Agenten uns die Künstler zwei, drei Monate geben können und schließlich glücklich wieder nach Hause bekommen. Ein großes Kompliment, das ich dieses Jahr von einem konkurrierenden Unternehmen erfahren durfte war: Was habt ihr mit dem Hucknall gemacht? Der ist auf einmal so nett.“ Ja, sage ich, wir haben ihn als Mensch behandelt. Dass er so viel Spaß gehabt hat, das erzählt Mick Hucknall allen anderen auch. Das multipliziert sich im Künstlermarkt. Die Agentur, die eine Unterschrift bewilligt und den Künstler dann 30 Tage zur Night of the Proms schickt, hat natürlich eine sehr komfortable Situation. Wir müssen uns im internationalen Bereich relativ wenig noch erklären. Die Szene nimmt uns wahr und sieht die Stärken der Proms. Dadurch wird es leichter für uns. Ein Problem ist das Geld. Mit Tonträgern verdient man nicht mehr das Geld, somit müssen die Acts live auf die Bühne ihr Geld zu verdienen. Das führt dazu, dass wir die Kampfkasse sicherlich um einiges erhöhen müssen und auch viele andere Bereiche teurer werden.

CD zur Night of the Proms

Ihr habt die Fangemeinde mit der CD zum Konzert 2012 überrascht. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Nachdem wir letztes Jahr so eng mit allen Beteiligten zusammen gearbeitet haben, konnten wir auf Grund der dann einfachen Verhältnissen die CD 2012 nachträglich veröffentlichen. Wenn die Künstler nun immer aktueller werden haben wir hingegen das Problem, dass die Schallplattenfirmen der Künstler vorrangig ihre eigenen Platten verkaufen möchte. Deswegen wird es auch schwieriger, dass die Firmen uns die Rechte bewilligen. Heißt, durch das moderne Programm wird es noch schwieriger werden, eine CD zu produzieren. Ich warte nun jedes Jahr erst einmal ab, bis die Manager aus eigenem Interesse mit den Schallplattenfirmen reden. Dann wird es viel einfacher. So war es auch bei Anastacia. Ihr Manager Craig Logan hat mit der Schallplattenfirma geredet und der Manager von Mick Hucknall hat mit Warner Bros. gesprochen.

Wie würde dein persönliches Jubiläumskonzert aussehen, wenn du nur Wiederholungstäter einladen dürftest? Sagen wir mal so ein 20 Jahre `Best of the Proms´.

Das wäre so eine Mischung zwischen persönlichen Freundschaften, Dankeschöns und Vorlieben. Das wäre übrigens ein sehr langer Abend! Jedes Jahr kommt mindestens ein Highlight dazu. Mein Wunschkonzert wäre sicherlich das längste Konzert der Welt. Simple Minds wären garantiert dabei. Das sind alte Weggenossen, die mich mein ganzes Musikleben lang begleitet haben. Roxette waren ein Traum, Roger Hodgson, Huey Lewis...
Wir haben zu all diesen Leuten noch Kontakt.

Gänsehautmomente habe ich natürlich auch bei Alan Parsons, bei Joe Cocker, oder auch Tony Hadley von Spandau Ballet. Wie viele Gehirnzellen habe ich an Hotelbars mit ihm gelassen. Andrea Bocelli ist natürlich ebenfalls ein Traum. Kurzum, leg´ alle DVDs der Proms ein - dann hast du mein Wunschkonzert. Vielleicht noch ein bisschen Klassik dazu.

Die Schicksalsfrage zum Abschluss: Wie lange hältst du noch durch?

Also die bereits oben erwähnte Konstellation, die mich aus dem Tagesgeschäft ein bisschen raushalten kann, macht es einfacher und bereitet mir mehr Freude. Die Erkenntnis, dass Jan und Jan aus Belgien es akzeptieren, dass ich nicht mehr allzu häufig im Büro anzutreffen bin, entspannt die Lage ungemein. Aber das heißt ja nicht, heutzutage mit Handy und Laptop, dass ich nicht 24h im Einsatz bin. Ich genieße den Zustand momentan, spiele sehr gerne Golf und nutze dabei meine Kontakte und nehme viele Ideen auf. Und wenn ich das ohne schlechtes Gewissen auch unter der Woche leben kann, bringt es sowohl mir, als auch der Firma neue Möglichkeiten. Die letzten drei bis vier Jahre waren zum Teil auch hart, weil es teilweise mit dem neuen Sponsor sehr viel Arbeit ist. Das kann man sich als Außenstehender gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit im Detail stecken. Viele sagen: Du arbeitest ja nur drei Monate im Jahr. Das Ding ist aber ein 24-Stunden-Job - 365 Tage im Jahr! Wenn man es so macht wie wir das tun. Und das macht mir momentan wirklich extrem viel Spaß!

Vielen Dank Dirk. Mit den besten Wünschen für die nächsten 20 Jahre!

Gerne

© Karen Kassulat



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